Antisemitismus im Fußball – Klischees in der Kurve

c20e09032164c02ec65430c07185fef5v1_max_635x357_b3535db83dc50e27c1bb1392364c95a2Am Dienstag, den 27.01.2015 jährte sich die Befreiung des Konzentrations-  und Vernichtungslagers “Auschwitz” zum 70. Mal. Damals, am 27.01.1945, wurden die wenigen Überlebenden des Lagers von Soldaten der Roten Armee befreit.

Hinter dieser Vernichtungslogik stand die Ideologie der Herrenrasse, die Menschen jüdischen Glaubens, Sinti und Roma sowie Homosexuelle als minderwertig ansah. Diese perfide Art des Rassismus wurde zur Grundlage des Antisemitismus, der in der massenhaften Vernichtung von Jüdinnen und Juden Bestimmung fand. Mit der Niederlage Deutschlands im zweiten Weltkrieg verschwand zwar auch der staatlich und industriell organisierte Massenmord an Jüdinnen und Juden, doch der Antisemitismus blieb weiterhin verhaftet in der bürgerlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Auch heute ist Antisemitismus noch verbreitet und findet vor allem dann Akzeptanz, wenn es um Kritik am Staat Israel geht.

Aber auch im Fußball ist Antisemitismus verbreitet – auch heute noch. Dazu hat der Fanforscher Ronny Blaschke vor kurzem einen Podcast erstellt, der sich genau diesem Thema widmet und es auf jeden Fall wert ist, gehört zu werden.

Hier geht’s zum Podcast: Klick

Fußball-WM 1978 in Argentinien: WM-Sieg unter Folter

UnbenanntDie Sendung “Sport Inside” ist bekannt für kritischen, hinterfragenden Sport-Journalismus und wirft dabei auch gerne mal einen Blick auf längst Vergangenes. So strahlte das WDR im Rahmen von “Sport Inside” vor kurzem eine Reportage über die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien aus. Gerade für die jüngeren Leser/innen ist es interessant zu erfahren, was dort damals vor sich ging.

Argentinien befand sich während der WM unter der Herrschaft einer Militärdiktatur, die sich zwei Jahre zuvor, am 24. März 1976, an die Macht putschte. Trotz tausender verschwundener Regimegegner/innen, darunter viele junge Studenten und Studentinnen, stellte sich für die FIFA nicht die Frage, die WM Argentinien zu entziehen.

Damals wie heute vergibt die FIFA Weltmeisterschaften an Staaten, die bewusst und offenstichtlich Menschenrechtsverletzungen begehen. Gerade die WM-Vergabe an Katar, wo Arbeitssklaven den Bau der WM-Stätten immer wieder mit ihrem Leben bezahlen müssen, oder die Vergabe an Russland, wo staatliche Unterdrückung gegen Homosexuelle an der Tagesordnung ist, sind Beispiele dafür, dass die FIFA kein Problem damit zu haben scheint, Geschäfte mit autoritären Regierungen zu machen. Kritik weist die Fußballweltorganisation mit ihrer apolitischen Grundhaltung ab. Sie macht es sich damit einfach und gibt sich unpolitisch. Doch ihr Wirken ist alles – außer unpolitisch.

Mit WM-Vergaben an Länder wie eben Katar oder Russland, aber auch Deutschland, unterstützt sie dadurch diese Regierungen in ihrem Handeln den Fußball für staatliche Zwecke zu instrumentalisieren. Sei es der Effekt des kurzzeitigen Wirtschaftsaufsschwungs (WM in Brasilien), die Erschaffung einer Einheit unter den Menschen (das sog. “Wir-Gefühl”), das Ablenken von innenpolitischen Problemen (Folter in Argentinien) oder das Erlassen und Legitimieren von Law and Order-Gesetzen und Ausdehnung der Überwachung (WM in Deutschland).

Die Reportage zeigt auf traurige Art und Weise, wie der Fußball zum Instrument eines diktatorischen Regimes wird und wie er demselben Regime zum Weiterleben verhilft.

Hier geht’s zur Reportage von WDR “Sport Inside”: Klick

Fußball von unten – Ein Gedankensprung

Als aktiver und idealistischer Fußballfan hat man es heute nicht leicht. Der Fußball verkommt immer mehr zu einem reinen Geschäft. Aktuelle Tendenzen, wie bei RB Leipzig, Wolfsburg und den Aktionärsvereinen könnten und werden wohl das Konzept der Zukunft sein. Zu sehr scheint unser Sport mittlerweile attraktiv für Investitionen und Vermarktung zu sein. Ausgliederungen der Profiabteilungen funktionieren mittlerweile nach dem Prinzip, der eine macht’s vor und die anderen müssen’s nachmachen, um konkurrieren zu können – zumindest ist das die häufigste Erklärung seitens der Vereinsvorstände, wenn es um die Rechtfertigung einer Ausgliederung bzw. die Öffnung für Investoren geht. Mit Konkurrieren ist nicht primär das Sportliche, sondern das Finanzielle gemeint. Das eine bedingt das andere oder besser gesagt, das eine kommt vor dem anderen. Früher ging es mal darum sportlichen Erfolg zu haben, um die Kosten zu decken – heute sollen Millionengewinne erzielt werden, um Spieler verpflichten zu können, die im Jahr so viel verdienen, wie manche/r nicht in hundert Jahren  –  oder noch absurder: um den Aktionären eine hohe Rendite zu ermöglichen. Viele sagen an dieser Stelle dann immer: „das ist nun mal heute so“ oder „so läuft nun mal das Geschäft“. Fußball – ein Geschäft? Da haben wir den Salat… Ein Argument ist das zwar weniger, aber es entspricht wohl der Realität. Dennoch, sich gegenüber den bestehenden Verhältnissen zu ergeben, ist sicher nicht die Lösung. Ein Kampf David gegen Goliath, kann aber vor allem auf Dauer  resignierend wirken  – zumal die Chancen – nicht wie in der biblischen Geschichte – eher gegen null tendieren. Dazu wiegen die Interessen der Reichen und Mächtigen viel zu schwer als die von uns Fußballfans. Wir sind austauschbar gegenüber zahlungskräftigeren Kunden. Schon heute findet ein Wandel in den Stadien statt, der im Moment noch durch Kampagnen wie „Kein Zwanni für’n Steher“ aufgehalten wird. Die Diskussion um Stehplätze findet dennoch statt und nicht nur wegen Sicherheitsbedenken. Wer erinnert sich nicht an die „Wutrede“ eines Uli Hoeneß vor den FC Bayern-Mitgliedern, als er sagte, dass die Stehplätze durch die Logenbesitzer und –besitzerinnen finanziert würden und unverschämt beifügte, dass man darüber gefälligst froh sein sollte und die Klappe halten sollte. Sollen wir froh darüber sein, dass es uns ein paar Superreiche heute ermöglichen noch in die Stadien gehen zu können, weil es sonst nicht mehr bezahlbar wäre? Das kann’s doch nicht sein. Wie lange wird der Fußball noch bezahlbar sein? Ein Fußball der als Arbeitersport bekannt war und vor allem dieser Klasse eine Möglichkeit zur sozialen Partizipation bot, aber auch gleichzeitig nach dem „Brot und Spiele“-Prinzip zur Ruhigstellung der Massen diente. Heute funktioniert das zwar immer noch, aber der Fußball bietet Vielen – vor allem Jüngeren – die Möglichkeit sich zu engagieren und zu entwickeln. Er hat damit eine sozialisierende Wirkung und ist ein Ort, an dem viele gesellschaftliche Schichten aufeinandertreffen. Er hat sich in vieler Hinsicht weiterentwickelt – man könnte auch sagen, er hat sich zivilisiert. Die 80er und 90er, in denen dunkelhäutige Spieler mit Bananen beworfen wurden sind vorbei. Heute sind die Kurven offener. Diskriminierung findet nur noch vereinzelt statt. Neben dem Kampf gegen Diskriminierung fand bzw. findet auch ein Kampf um mehr Rechte für Fußballfans statt, der bis heute auch noch anhält. Denn während sich in den Kurven  ein demokratischer Prozess vollführt,  geben sich die Vereine und Verbände wirtschaftlichen Zwängen hin und reduzieren dadurch Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten (Stichwort: Ausgliederung). Dieser Widerspruch wird  wohl auf Dauer zu einem Konflikt zwischen „oben“ und „unten“ führen  und in diesem Zuge könnten Ausschließungsmechanismen zum Tragen kommen. Die Gefahr, dass Ticketpreise steigen und sich dadurch viele den Besuch eines Spiels nicht mehr leisten können, ist durchaus vorhanden. Aber auch die Möglichkeiten sich im Verein einzubringen, werden durch aktuelle Tendenzen bedroht. Viele Vereine verlieren ihre Verwurzelung zu Stadt und Menschen und damit ihr soziales und verbindendes Element.

Im Zuge dieser qualitativen Veränderung des Fußballs wird auch immer heftiger an der Repressionsschraube gedreht. Es liegt mehr als nur die Vermutung nahe, dass die Repression durch Verbände und Vereine den oben genannten Tendenzen in die Hände spielt – vielleicht auch spielen soll.  Das führt dauerhaft zu einem Interessenkonflikt, der einer Lösung bedarf.fcum-working

Erste Reaktionen und Lösungsansätze  gibt es bereits. In Hamburg hat sich die Gruppe „Chosen Few HH“ nach der Ausgliederung  vom Verein abgewendet und besucht nur noch die Spiele der 3. Mannschaft. Ähnlich in Hannover, wo die „Ultras Hannover“  (kompletter Boykott)  und die  „Brigade Nord 99“ (Stimmungsboykott) gegen die durchgeführte Ausgliederung des Vereins in eine KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) protestieren. Ein gutes Zeichen, aber es stellt sich hierbei die Frage, ob dieser Schritt nicht zu sehr in Richtung einer eigenen Isolierung führt.  Alternativen zu einem passiven Protest gibt es mittlerweile immer mehr. In Hamburg wurde der HFC Falke e.V. von ehemaligen Ultras und Fans des HSV gegründet. Auch in England gibt es mit dem FC United of Manchester ein entsprechendes Pendant, das von ehemaligen Fans von Manchester United als Antwort auf die Entwicklungen im Verein gegründet wurde.  Hierzulande und auf der Insel sind das jedoch noch Einzelfälle. In Italien hingegen hat sich eine ganze Bewegung gegründet.  Die Rede ist vom sogenannten „Calcio Popolare“ – dem „Fußball des Volkes“. Dort haben sich verschiedene von Fans gegründete Vereine zusammengeschlossen, um sich den Fußball als „Volkssport“ wieder anzueignen. Zur „Calcio Popolare“  zählen unter anderem die Vereine Primi della Strada aus Terni, Ardita San Paolo aus Rom, Stella Rossa aus Neapel, Centro Storico Lebowski und Lokomotiv Flegrea. Die Bewegung versteht sich als Gegenentwurf zu Serie A, bei dem es vor allem darum geht, den Fußball auch als gesellschaftliche Instanz wiederzuentdecken, um vor allem marginalisierten Teilen der Bevölkerung Teilhabe am Fußball, aber auch an der Gesellschaft zu ermöglichen. Bei Lokomitve Flegrea heißt das vor allem praktische Hilfe für Arbeits- und Wohnungslose, aber auch für Flüchtlinge. Auch eine Fußballschule will der Fanverein gründen, um Kindern und Jugendlichen das Fußballspielen im Verein zu ermöglichen, die unter den gegebenen Umständen kaum eine Möglichkeit dazu haben.quartograd05--620x420

Neben dem zivilgesellschaftlichem Engagement, verfolgt die „Calcio Popolare“-Bewegung ein gemeinsames Ziel: nämlich eine eigene Amateurliga. Nur so können die Vereine eine völlige Autonomie erreichen. Denn aktuell sind sie noch den italienischen Fußballverbänden untergeordnet – und diese sind nach eigenen Aussagen Teil des Systems, das bekämpft werden muss. Dieser Kampf gegen das System hat jedoch auch Feinde – nicht nur auf Seiten der Verbände. Bei einem Auswärtsspiel von Ardita San Paolo wurden Fans und Unterstützer  des Vereins von Neonazis angegriffen – darunter waren wohl auch Anhänger von Lazio und AS Rom. Die Fans von Ardita San Paolo  sehen in dem Angriff einen Angriff auf die gesamte „Calcio Popolare – Bewegung“. Und das ist gar nicht mal so weit hergeholt. Wenn Neonazis der „Irriducibili Lazio“ lieber die dicke Kohle mit dem Verkauf ihres Gruppennamens als Modelabel machen, scheint auch ein gewisses Interesse an dem Status Quo vorhanden. Alternative Projekte würden letztlich die Vormachtstellung  solcher Gruppen gefährden. Ob sich dieses Projekt von „unten“ etablieren kann und ob weitere Fanvereine gegründet werden, hängt auch stark davon ab, ob weitere Ultras diesen Weg mitgehen und sich von ihren bisherigen Vereinen trennen. Jede/r kann sich wohl selbst vorstellen, wie schwer es ist, eine solche Entscheidung zu treffen. Für viele stellt sich diese Frage zum Glück (noch) nicht.

Passend zu dem Thema zeigt der NDR am Sonntag um 23:35 Uhr eine Reportage über den HFC Falke e.V. und die Hannoveraner Ultras.

Hier gibt es eine Vorschau und einen Trailer zur Reportage : Klick

Update: Hier gibt es die komplette Reportage: Klick

„RB Leipzig bewegt sich am Rande der Legalität“

Das Fan-Bündnis „Nein zu Red Bull“ sorgt derzeit für Aufsehen in den Stadien der 2. Bundesliga, auch im Fritz-Walter-Stadion waren vergangene Woche entsprechende Plakate zu sehen. Wir haben stellvertretend für die beteiligten Gruppen aus der Westkurve mit FCK-Fan Andi gesprochen, der zu den Initiatoren der bundesweiten Kampagne gehört.

Der Betze brennt: Hallo Andi! Stefan Kuntz hat kürzlich das Modell RB Leipzig als „legitim“ bezeichnet und man müsse sowas in der heutigen Zeit „akzeptieren“ (Quelle). Warum seht Ihr das anders?

Andi: Wir würden eher sagen, RB Leipzig bewegt sich am Rande der Legalität. Red Bull hat 2009 mit der Übernahme der Spielberechtigung des Oberligisten SSV Markranstädt ein völlig neues Szenario erschaffen, mit dem die verantwortlichen Fußballverbände damals überfordert zu sein schienen. Ein Konzern hatte erstmals in der Geschichte des bundesdeutschen Fußballs einen Verein komplett übernommen. Dazu gehörte die Änderung des Namens in RasenBallsport Leipzig, das Entwerfen eines neuen Vereinswappens sowie die Änderung des Stadionnamens in Red Bull Arena. RB Leipzig befindet sich mit dem, was sie in Bezug auf das Vereinswesen machen, in vielen Bereichen in einer Grauzone und hätte deswegen im Sommer von der DFL fast die Lizenz verweigert bekommen. Zwar wurden jetzt die Mitgliedsbeiträge gesenkt, stimmberechtigt ist man als „Fördermitglied“ jedoch immer noch nicht. Ein eingetragener Verein benötigt laut BGB mindestens sieben Mitglieder. Red Bull hatte bei der letzten Mitgliederversammlung 14 – mehr sollen es auch nach Aussagen von Red-Bull-Chef Mateschitz nicht werden. Zwar wurde auch die Führungsebene ausgeglichener besetzt, dass RB aber weiterhin die Fäden in der Hand hält, ist unzweifelhaft. Das alles haben übrigens auch viele Vorstände anderer Klubs schon kritisiert, von Watzke über Heidel bis Rummenigge.

Der Betze brennt: Wie ist die Kampagne entstanden? Wer ist alles beteiligt?

Andi: Bei uns in Kaiserslautern gab es schon in der letzten Saison Überlegungen, wie man mit einem Aufstieg RB Leipzigs in die 2. Bundesliga umgehen sollte. Nachdem dann klar war, dass wir auf Leipzig treffen würden, gab es schnell erste Vorschläge innerhalb der Ultraszene, dass man sich aktiv gegen RB äußern müsse und dass man dazu am Besten so viele Zweitliga-Fanszenen wie möglich mit ins Boot holen sollte. Daraufhin wurden Kontakte zu anderen Vereinen gesucht und wir haben uns dann schließlich Ende Juli in Darmstadt zur Gründung der Kampagne „Nein zu Red Bull! Für euch nur Marketing – Für uns Lebenssinn“ getroffen. Beteiligt an der Gründung waren Karlsruhe, Darmstadt, Braunschweig, München (1860), Aue, Aalen, Ingolstadt, Heidenheim, Sandhausen und natürlich wir. Zurzeit kommen fast täglich weitere Unterstützer dazu.

Der Betze brennt: Was sind die Ziele Eures Bündnisses?

Andi: Wünschenswert, aber absolut utopisch, wäre der Rückzug Red Bulls aus dem Fußball. Wir würden es schon begrüßen, wenn DFL und DFB konsequenter gegen RB Leipzig durchgreifen würde bzw. es in der Vergangenheit mal getan hätte. Aber wie gesagt: RB schlängelt sich da ganz geschickt am Rande der Legalität entlang. Die Regularien von DFL und DFB sind viel zu schwammig. Das sollte man in Zukunft ändern, um mögliche Nachahmungen zu verhindern, sofern der DFL und dem DFB wirklich etwas am fairen Sport liegt. Dass allein die Hälfte der Transferausgaben in der zweiten Liga durch RB getätigt wurden (laut Medienberichten zwischen 12 und 16 Millionen Euro; Anm. d. Red.), ohne erwähnenswerte Einnahmen, gleicht einer krassen Wettbewerbsverzerrung. Wir fordern daher ein Financial Fair Play auch auf nationaler Ebene.

Der Betze brennt: Innerhalb der UEFA wurde dieses Financial Fair Play ja schon eingeführt, aber nur für internationale Wettbewerbe wie die Champions League. Wie stellt Ihr Euch das konkret vor?

Andi: Ausgaben müssen enger an die Einnahmen gebunden sein. Nur im Notfall, zum Beispiel bei einer Insolvenz, sollte es einem Investor möglich sein, Bilanzdifferenzen in einer gewissen Höhe ausgleichen zu dürfen. Auf internationaler Ebene sind das aktuell 45 Millionen Euro in drei Jahren. Das ist aber immer noch zu viel. Investoren hält das nicht davon ab, in Vereine einzusteigen. Aber das ist nicht allein das Problem RB Leipzigs. welches auch nur ein Teil des kommerziellen Fußballs ist, der sich nun mal einer kapitalistischen Logik unterwirft. Dennoch sind für uns Werte, wie Tradition, Vereinsloyalität und Bodenständigkeit unverhandelbar – auch nicht in den Zeiten des modernen, kommerziellen Fußballs. Ein Verein braucht ein aktive Mitgliedschaft, ein aktives Vereinsleben. Er darf keine Machtkonzentration durch einige wenige geben – das ist für uns auch im Sinne einer demokratischen Kultur und Gesellschaft. Bei RB Leipzig wird das alles mit Füßen getreten. Dadurch, dass die 50+1-Regel – die eben eine solche Machtkonzentration verhindert – nur bei Kapitalgesellschaften und nicht bei Vereinen greift, hat Red Bull einfaches Spiel. Wir fordern eine Regelung, die diese Machtbündelung durch Konzerne verhindert.

Der Betze brennt: Am ersten Spieltag war vor der Westkurve ein großes Spruchband eurer Kampagne zu sehen. In anderen Stadien gab es weitere Aktionen. Kannst du kurz erklären, was es mit den Aktionen auf sich hatte und wie in Zukunft euer Protest aussehen wird?

Andi: Im Rahmen der Kampagne sind mehrere „Aktionsspieltage“ geplant. Es sollen dabei gleichartige Aktionen in allen Stadien stattfinden, die das Modell Red Bull und RB Leipzig kritisieren. Am 1. Spieltag gab es in mehreren Stadien Aktionen, bei denen Klopapierrollen geworfen und dazu passende Spruchbänder gezeigt wurden. Ziel war es erstmal, auf die Kampagne aufmerksam und auf das Grundproblem mit RB im Fußball aufmerksam zu machen. Wir in Kaiserslautern konnten die Aktion nicht durchführen, da durch das Fangnetz vor der Westkurve leider keine Möglichkeit dazu bestand. Außerdem wollten wir um Zuge des des Blockwechsels der Ultras mit dieser doch recht spontanen Aktion niemanden vor den Kopf stoßen, sondern uns zunächst mal auf die eigenen Veränderungen in der Westkurve konzentrieren. Aber wir möchten an dieser Stelle schon mal alle dazu aufrufen, sich an den kommenden Aktionen zu beteiligen – gemeinsam wollen wir ein Zeichen gegen Red Bull setzen!

Der Betze brennt: Danke für das Gespräch!

Weitere Informationen, darunter Hintergründe der Kampagne sowie Infos und Fotos zu aktuellen Aktionen, sind im Internet zu finden: http://www.Nein-zu-RB.de

Quelle: Der Betze brennt

Erfolgreicher Auftakt für “Nein zu RB”-Kampagne

Nicht nur für den Betze verlief dcropped-headerer erste Spieltag der 2. Bundesliga äußerst erfreulich. Auch die neu ins Leben gerufene Kampagne „Nein zu RB“ feierte ein viel beachtetes Debüt und konnte mit einem ersten Aktionsspieltag Aufmerksamkeit für ihre Sache gewinnen.

Auf der Website www.nein-zu-rb.de findet ihr ab sofort unter anderem eine bullenfreie Liga-Tabelle sowie die aktuelle Unterstützerliste. Neben vielen Fanclubs aus dem ganzen Land ist auf der Liste inzwischen auch das unabhängige Bündnis ProFans zu finden.

ProFans richtet sich in einem Aufruf an alle Fußballvereine und –fans. Die äußerst treffenden Worte möchten wir euch nicht vorenthalten:

Berlin, den 7. August 2014: Das unabhängige Bündnis ProFans unterstützt ausdrücklich die bundesweite Kampagne” Nein zu RedBull! Für euch nur Marketing – Für uns Lebenssinn! ”, die sich primär gegen den 2009 gegründeten Verein „RasenBallsport Leipzig e.V.“ richtet.

Seit der Gründung des Vereins verfolgt der dahinter stehende Konzern „RedBull“ die Etablierung seines Brausegetränks auf dem deutschen Markt, wobei es ihm um reines Marketing geht. Mit dem Fußball, den die unzähligen Fans dieses Landes lieben und den damit einhergehenden Werten, hat das nichts mehr zu tun. “Das Beispiel RedBull kann maßgeblich für die zukünftige Entwicklung des Fußballs in Deutschland werden”, sagt Sandra Schwedler von ProFans. “Die 50+1 Regel ist bis zur Unkenntlichkeit verbogen worden. Die Liga, Fans und Vereine müssen sich fragen, ob man zu einer Konzernliga werden will oder nicht“, so Schwedler weiter.

Erst sah das die DFL allem Anschein nach ähnlich, störte sich an den vielen Ungereimtheiten innerhalb des Retortenvereins und versagte RB Leipzig nach deren Aufstieg in der Saison 2013/2014 die Zweitligalizenz. „Leider zeigte sich schnell die Inkonsequenz der DFL, als diese nach einigen Schönheitskorrekturen innerhalb der Vereinsstrukturen und am Vereinslogo, die Lizenz dennoch vergab“, bedauert ProFans-Sprecher Alex Schulz.

Dass Vereine die von Konzernen oder Mäzen dominiert sind, einen enormen finanziellen Wettbewerbsvorteil für sich generieren steht dabei außer Frage. Für ProFans ist diese Entwicklung nicht mehr tragbar, denn noch nie war das Ungleichgewicht innerhalb der Profiligen größer und der Traditions- und Amateurfußball bedrohter. Der Fall RB Leipzig erscheint in der stetig voranschreitenden Entwicklung des deutschen Fußballs hin zu einem überkommerzialisierten Produkt, als eine Spitze des Eisbergs. Die aktiven Fanszenen stehen an einem Scheideweg. „Das Problem betrifft natürlich nicht nur die Fans und Vereine der 2. Liga. Alle Fußballfans des Landes sind gefragt, sich gegen diesen Ausverkauf der Fußball-Tradition zu wehren“, sagt Jakob Falk von ProFans.

ProFans ruft daher die Fans, aber auch die Vereine selbst, dazu auf, gegen RB Leipzig aktiv zu werden, die Kampagne „Nein-zu-RB“ zu unterstützen und dieser durch verschiedene Aktionen, Leben einzuhauchen.

Bitte beachten Sie die Internetseite der Kampagne: http://www.nein-zu-rb.de

ProFans, im August 2014

Bundesweite Kampagne “Nein zu Red Bull!”

Der “Betzenberg als Gesamtkunstwerk” hat beim Saisonauftakt am Montagabend eindrucksvoll demonstriert, was es heißt Fußball zu leben. Umso unwürdiger die Tatsache, dass unser Verein in einer Liga spielen muss mit einem Konstrukt, dessen Primärintention nicht der Sport, sondern aggressives Marketing darstellt. Firmen sponsern, Firmen werben im Sport – der Konzern Red Bull jedoch missbraucht den Fußball. Er überschreitet Grenzen gegen jede gute Manier.

Sollte sich das Modell Red Bull durchsetzen und als rentabel erweisen, wird dies unweigerlich Nachahmer-Unternehmen auf den Plan rufen. Es ist höchste Zeit ein klares Zeichen zu setzen gegen die Machenschaften des Herrn Mateschitz. „Nein zu Red Bull!“ – sorgen wir dafür, dass der Firmenname deutschlandweit negative Assoziationen weckt und das Projekt “RB Leipzig” zum Eigentor wird! Für euch nur Marketing, für uns Lebenssinn – Red Bull, raus aus unserem Sport!

 

"Nein zu RB" FlyerHallo Fußballfans,

wie ihr sicher mitbekommen habt, gab es bisher im Rahmen des 1. Spieltag der 2. Bundesliga verschiedene Aktionen und Spruchbänder, die sich gegen Redbull richteten.

Für uns war das der Start unserer Kampagne ” Nein zu RedBull! Für euch nur Marketing – Für uns Lebenssinn! ”

Wir wollen mit dieser Kampagne auf das Problem mit RedBull im Fußball aufmerksam machen. Genauso wollen wir aber das Thema der immer weiter fortschreitenden Kommerzialisierung unsres Fußballs in den Fokus rücken. RedBull ist da nur ein Rädchen im System -zurzeit das am stärksten polarisierende.

Für uns geht es nicht nur um Tradition oder Werte. Nein es geht vielmehr auch darum, dass mit RB Leipzig eine Grenze überschritten wurde, die eigentlich längst überschritten war… Klar, Fußball ist Massenspektakel, Fußball ist Vermarktungsträger, Fußball muss wirtschaften. Aber für welchen Preis? (Traditions-) Vereine haben auf Dauer keine Mittel, um mit hochgerüsteten Aktiengesellschaften konkurrieren zu können – wirtschaftlich und in letzter Konsequenz dann auch sportlich.

Die Profiligen unterliegen einer wirtschaftlichen Logik, die mit reinem Sport schon lange nichts mehr am Hut hat. Mit RB Leipzig kommt aber ein neuer Akteur dazu, der so auf den ersten Blick ganz andere Interessen verfolgt. Red Bull geht es ums Marketing. Also darum, das Produkt RedBull am besten den potenziellen Kunden zu präsentieren – und dazu dient die Bühne des Fußballs. Ein Teil dieses Marketings ist das Sponsorn verschiedener Events, Vereine und Einzelsportler/innen mit dem Ziel das Produkt bzw. die Marke “RedBull” öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Aber von einem normalen Sponsoring kann bei RB Leipzig schon lange keine Rede mehr sein. RedBull gehört der Verein. Eine Mitgliederstruktur gibt es nicht – die ca. 9 Mitglieder sind allesamt RedBull Mitarbeiter/innen. Mittlerweile hat RB Leipzig im Zuge des Lizenzierungsverfahrens für die Teilnahme an der 2. Bundesliga eine sogenannte “Fördermitgliedschaft” ermöglicht, die aber rein auf dem Papier besteht – Stimmberechtigung erhält man damit nicht.

Nicht nur das RedBull das Vereinsrecht mit Füßen tritt und regelrecht ausnutzt, vielmehr schafft sich das Unternehmen einen eigenen Nachwuchs- und Transferkosmos, in dem kleine Vereine in unteren Ligen aufgekauft werden, um zu sogenannten “Farmteams”- also Vereine, die für RedBull Spieler ausbilden –  umgestaltet zu werden, die dann wiederum die ausgebildeten Spieler an RB Leipzig oder Redbull Salzburg abgeben. Aber auch transferrechtlich – und das hat sich schon gezeigt – besitzt RedBull die Möglichkeit Regelungen gezielt zu umgehen.

Für uns sind solche krassen Wettbewerbsvorteile nicht hinnehmbar. DFL und DFB schauen tatenlos zu. Der Amateurfußball liegt brach und die Profiligen sind ungleicher denn je…

RedBull ist nur ein Teil des Problems – aber der Größte.

Quelle: www.nein-zu-rb.de

„Fans nicht von vornherein als Täter abstempeln“

Nach dem Vorbild anderer Traditionsvereine mit großer Anhängerschaft hat sich in Kaiserslautern die „Rot-Weiße Hilfe“ gegründet. Ihr Ziel ist es, das häufig verzerrte Bild der Fußballfans in der Öffentlichkeit gerade zu rücken und Hilfe bei juristischen Problemen im Zusammenhang mit Fußballspielen zu geben.

Kaiserslautern am 6. März 2013: Nach dem Regionalliga-Spiel des 1. FC Kaiserslautern gegen Waldhof Mannheim kesselt die Polizei auf einem Parkplatz in der Innenstadt eine Gruppe von rund 50 FCK-Fans ein. Ihnen wird Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen – vom Verein erhalten sie umgehend Stadionverbote mit einer Dauer von bis zu zwei Jahren. Die Sichtweise der betroffenen Fans hingegen ist eine andere: Die Einsatzleitung der Polizei habe unter Ergebnisdruck gestanden, weil sie einen Monat zuvor bei den schlimmen Ausschreitungen nach dem Heimspiel gegen Dynamo Dresden versagt hatte, und sie müssten nun die Sündenböcke herhalten.

15 Monate später sind sämtliche Strafverfahren von damals eingestellt, keiner der Betroffenen wurde schuldig gesprochen. Auch die somit nicht mehr begründeten Stadionverbote sind zum größten Teil aufgehoben.

Aufgrund von Vorfällen wie diesem hat sich vor kurzem die „Rot-Weiße Hilfe Kaiserslautern“ (RWH) gegründet, die sich selbst wie folgt definiert: „Die RWH ist eine übergreifende Solidaritätsgemeinschaft zur Unterstützung von Fans des 1. FC Kaiserslautern, die aufgrund von Ereignissen bei FCK-Spielen Probleme mit der Justiz bekommen haben.“ Beratung, Prävention und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch finanzielle Unterstützung sind die Ziele des eingetragenen Vereins.

Das große Vorbild ist die „Rot-Schwarze Hilfe“ aus Nürnberg, die als bundesweiter Vorreiter gilt und bereits 2007 gegründet wurde. Auch in München (1860), Hannover, Gelsenkirchen, Dresden, Berlin (Union & Hertha), Rostock und Köln existieren mittlerweile Fanhilfen.

“Generell nimmt die Repression rund um den Fußball immer mehr zu und die Polizei kommt in der Öffentlichkeit in den allermeisten Fällen als die Partei weg, die zweifelsfrei richtig handelt. In den Medien werden meist oberflächlich die Polizeiberichte abgetippt, viel zu selten werden die Fälle wirklich tiefgründig recherchiert. Was in der Zeitung steht entspricht aber nicht den Schikanen, die man als Fan fast jedes Wochenende miterlebt. Deshalb ist es auch in Kaiserslautern an der Zeit, sich dieser Sache anzunehmen, damit die Fans nicht immer von vornherein als ‘Täter’ abgestempelt werden“, erklärt Vorstandsmitglied Andreas Hensel die Intention zur Gründung der Rot-Weißen Hilfe.

Erstmals an die Öffentlichkeit trat die RWH Anfang Mai, als eine rechtswidrige Maßnahme der Polizei gekippt wurde: Zum FCK-Heimspiel gegen Dynamo Dresden sollte pauschal allen Personen mit bundesweitem Stadionverbot (was ca. 3.000 Betroffenen entspricht) per Allgemeinverfügung das Betreten der Stadt Kaiserslautern untersagt werden. Das Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße wies diese Allgemeinverfügung zurück und kritisierte in seinem Beschluss außerdem die allgemeine Vergabepraxis von Stadionverboten.

Ein anderes Beispiel gibt Rechtsanwalt Philipp Adam, der als einer von drei Anwälten mit der RWH zusammenarbeitet: „Hannover 96 wollte vor dem Derby in Braunschweig seine Auswärtsdauerkarten nur in Verbindung mit einer vom Verein organisierten Busfahrt aushändigen. Unterstützt durch die Fanhilfe Hannover klagten drei Fans im einstweiligen Rechtsschutz auf Herausgabe der Karten. Das Gericht stellte dabei zutreffend fest, dass die angedachte Vergabepraxis mit erzwungener Busreise rechtswidrig ist.“

Aber warum braucht es überhaupt eine Fanhilfe, wo in Kaiserslautern doch mit Fanbetreuung, Fanvertretung, Fanbeirat und Fanprojekt schon mehrere Anlaufstellen für die Anhänger existieren? Vorstandsmitglied Andreas Hensel hierzu: „Zunächst einmal ist zu sagen, dass es sicherlich positiv ist, wie sich die Fanarbeit in Kaiserslautern entwickelt hat. Im Gegensatz zu den genannten Institutionen kann die Rot-Weiße Hilfe Betroffenen finanzielle Unterstützung bei der Begleichung von Anwalts- und Gerichtskosten bieten. Wichtig ist uns hierbei auch, dass wir mit Rechtsanwälten, die Erfahrung in Rechtsfällen mit Fußballbezug, zusammen arbeiten. Dies ist für uns als Fanhilfe unerlässlich. Man kann als Laie auch keine juristischen Ratschläge geben, das wäre fatal. Am Spieltag selbst wird auch in den meisten Fällen ein Anwalt anwesend sein um direkt vor Ort Handeln zu können.”

Erreichbar sind die Ansprechpartner der Rot-Weißen Hilfe Kaiserslautern an Spieltagen per „Notfallhandy“, die Nummer für die kommende Saison wird noch bekanntgegeben. Eine eigene Homepage ist in Arbeit, außerdem werden die Informationen der RWH bei Facebook und Twitter verbreitet. Der Mitgliedsbeitrag, welcher zur Deckelung von Anwalts- und Gerichtskosten verwendet wird, beträgt 3,- Euro im Monat.

 

Quelle: DerBetzeBrennt.de

Die Dunkle Seite von Red Bull

rb_logos_neualtRB Leipzig hat mittlerweile die Lizenz für die 2. Liga erhalten. “RasenBall” und DFL einigten sich darauf, dass der Verein in Zukunft mit einem neuen Logo auftreten werde und dass die Mitgliederstrukturen offener zu gestalten sind – diese Regelung wird als Vertrauensvorschuss seitens der DFL verkauft.

RB Leipzig wird also in Zukunft “verändert” auftreten. Das System das jedoch hinter Red Bull steckt, bleibt das Selbe: Marketing mit allen Mitteln.

Dazu erschien bei ARD-Die Story nun eine Reportage, die das Erfolgsmodell Red Bull und seine Schattenseiten beleuchtet:

Die dunkle Seite von Red Bull – Wenn ein Getränk doch keine Flügel verleiht

Red Bull hat die Formel 1 verändert, einen Sprung aus der Stratosphäre gesponsert, Extremsportarten auf die Spitze getrieben. Doch der PR-Hype von Red Bull ist umstritten. Bei einigen Aktionen sind Sportler tödlich verunglückt. Geht Red Bull zu weit?

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„Glory, Fellowship, Community“

(Ulle, B.B. 97/06) „Ich bin ein Lokalpatriot“. Mit diesen Worten begrüßt mich Cameron mit breitem Grinsen in der Elysian Brewery, einem geräumigen Pub in Capitol Hill, dem wohl angesagtesten Stadtteil Seattles. Obwohl er es in seiner letzten SMS angekündigt hatte, überrascht es mich doch ein wenig, dass mir der 1979 geborene, stämmige und mit trendsicherer Frisur auftretende Ultra der Seattle Sounders in einem Originaltrikot des FC Chelsea gegenübersitzt. Ich bohre etwas nach und erfahre, dass die Männer in seiner Familie schon vor ihm Anhänger der Mannschaft von der Stamford Bridge in London gewesen seien. Man suche es sich halt nicht aus. Richtig, denke ich. Wir bestellen lokales Bier, er ordert ein veganes Sandwich und überreicht mir ein kleines Geschenk – den neuesten Schal seiner Gruppe.

2_AuswahlCameron ist führendes Mitglied des Gorilla FC (GFC), eines „Seattle Sounders FC Supporters Collective“, einer aktiven Fangruppierung also des seit 2009 in der amerikanischen Profiliga MLS spielenden Fußballclubs aus der Stadt des Grunge, des Regens und des Kaffees in der nordwestlichsten Ecke der Vereinigten Staaten. Nachdem seine Fußballbegeisterung 1994 durch die in den USA stattfindende Weltmeisterschaft geweckt worden war, besuchte Cameron um 2004 herum zum ersten Mal ein Spiel der damals noch unterklassig kickenden Sounders. Seattle schlug Kansas City nach Elfmeterschießen und hatte einen Fan mehr. Nach der Umstrukturierung der Sounders in ein MLS-Team 2007 und mit Beginn der ersten Profisaison des Clubs in der MLS, gründete eine kleine ca. 15-köpfige Gruppe den GFC. Ziel war es, die Mannschaft in der Profiliga aktiv zu unterstützen.

Die Truppe hatte sich vorher bei regelmäßigen Freizeitkicks kennengelernt und ihre Mitglieder definierten sich von Anfang an nicht nur als reine Fußballfans, sondern auch als politisch links denkende und auftretende Gruppe. Man folgte dabei ausdrücklich dem Beispiel der Ultras St. Pauli, nachdem ein Mitglied von einer Reise nach Hamburg zurückgekehrt war. Die Prinzipien des GFC waren schnell formuliert: Community (=Gemeinschaft), Fellowship (=Kameradschaft, Mitgliedschaft), Glory (=Ehre). Angesprochen auf diese recht altertümlich anmutenden Grundsätze der Gruppe, führt Cameron aus, dass sich alle drei vor allem auf Verein, Stadt und Region beziehen und gerade heute weiterhin relevant seien. „Gemeinschaft“ umschreibe das Ziel der Anhänger, hilfebedürftige und ohne eigenes Verschulden in Not geratene Menschen zu unterstützen. Es sei schon mehrfach gelungen durch eigens organisierte Spendenaufrufe und entsprechende Aktionen Gelder zu sammeln, die dann wohltätigen Zwecken in Seattle zugeführt werden konnten. Es ginge nicht nur um Fußball und die Gruppe allein, sondern auch darum der Region, aus der man stamme, etwas zurückzugeben; nicht nur darum, auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, sondern sie auch aktiv zu bekämpfen. Dementsprechend positioniert sich der GFC als klar antirassistische, antisexistische und antihomophobe Gruppe, die bspw. mit eigenen, bunten Fahnen bei „Pride“-Märschen durch Seattle mitläuft und im Stadion, als der Antifa nahestehendes Kollektiv, durch antifaschistische Spruchbanner und ähnliches auf sich aufmerksam macht. Zwar sei Seattle eine „ziemlich weiße Stadt“, was jedoch nicht verhindern würde, dass sich in den Reihen des GFC Mitglieder mit Migrationshintergrund finden. Man habe u.a. Mitstreiter aus Chile, Australien und Israel und pflege gute Kontakte zu einer politisch identisch ausgerichteten lateinamerikanischen Untergruppe einer weiteren, größeren Fangruppierung (der ECS; siehe unten). Auch Frauen sind in der Gruppe zahlreich vertreten und zeigen im eigenen Stadionblock in den vordersten Reihen stark Präsenz. Des Weiteren, fügt Cameron hinzu, pflegten die Mitglieder des GFC sehr gemeinschaftliche Kontakte nicht nur untereinander und mit Menschen aus ihrer Region, sondern ebenfalls mit den Profis der Sounders. Insbesondere über Dienste wie Twitter halten die Mitglieder Kontakt mit den Spielern und laden sie zu gemeinsamen Abenden und Preisverleihungen („Gorilla FC – Spieler der Saison“) in ihre Bar ein. „Fellowship“, so Cameron, bezieht sich allein darauf, gemeinsam alles für das Team zu geben („It’s all about the team“.). Aber was hat es mit der Ehre auf sich? Hier muss Cameron lachen: „Nun ja, letzten Endes geht es ja doch primär darum jedes Spiel zu gewinnen“. Wer siegt, häuft Ehre an. Und Siege bereiten nun einmal mehr Spaß als Niederlagen. Ganz einfach. Er fasst die GFC-Philosophie folgendermaßen zusammen: „It’s all about having fun, supporting our team, and supporting our community“.

Wie in den meisten deutschen Fanszenen auch, stellt der GFC nur eine Gruppe neben vielen größeren und kleineren Fanclubs ein und desselben Vereins dar. Die mit Abstand größte, im Stadion sichtbarste und wohl auch einflussreichste „Supporter-Gruppe“ sind die Emerald City Supporters (ECS), ein schon 2005 ins Leben gerufenes Kollektiv mit mittlerweile gut 3700 Mitgliedern. Während jedoch beim GFC weltanschauliche Inhalte betont werden und Voraussetzung für das Mitmachen und die Identität der Gruppe sind, betonen die ECS eher die Spielbezogenheit ihrer Aktivitäten, obwohl auch sie vom Rufen rassistischer, sexistischer oder Minderheiten diskriminierender Inhalte in ihrer Kurve abraten. Ich hake bei Cameron nach, inwiefern es auch zu Spannungen zwischen den Gruppen kommen kann und bekomme als Antwort, dass es durchaus Probleme gäbe, gerade mit den ECS. Letztere betonten häufig, so Cameron, dass sie die Spendenaktionen des GFC als nicht wirklich zum Fußball dazugehörig in Frage stellen würden. Hier wird mein Gesprächspartner schnell politisch: Die ECS wären halt nur Seattle-typisch „durchschnittlich mitte-links“, während der GFC idealistischer eingestellt sei. Man toleriere sich zwar gegenseitig, stehe aber im Stadion in getrennten Blöcken und mache jeweils sein eigenes Ding.

Wir bleiben beim Thema Fangruppen und deren Beziehungen zueinander. Auch in den USA existieren auf Fanclubebene vereinzelt Freundschaften, aber vor allem regionale Rivalitäten. Als Seattles ärgste Widersacher nennt Cameron wie aus der Kanone geschossen die Fans der nordamerikanischen Westküsten-Teams aus Vancouver, Portland und San Jose. Im Umfeld eines Spiels wäre einer Fangruppe der Earthquake aus San Jose durch einen Sounders-Ultra sogar schon einmal ein Gruppenbanner gezogen worden, berichtet Cameron. Allerdings sei dies eine spontane Ausnahme gewesen. Ich frage ob Gewalt ein Faktor bei den US-Fußballfans wäre und Cameron führt aus, dass Gewalt im US-Fußball so gut wie gar keine Rolle spiele. „Ich habe noch nie etwas von Massenausschreitungen bei oder im Zusammenhang mit US-Ligaspielen gehört“, so Cameron. Allerdings sei die MLS mehr und mehr besorgt über die Unberechenbarkeit der immer weiter Zulauf erhaltenden Fangruppen, welche gerade zu Derbys in größeren Scharen anreisen. Bei einem Auswärtsspiel der Sounders in Portland wären nun plötzlich wesentlich mehr Polizeikräfte vor Ort, berichtet Cameron, und die Fans sähen sich verstärkt gängelnden Maßnahmen ausgesetzt. So müssten beispielsweise Gästefans aus Seattle zwei Stunden vor Anpfiff in ihrem Block im Stadion Portlands sein. Dabei distanziere man sich, gerade auch als aktive Fans in offiziellen Statements und auch informell innerhalb der Gruppen von jeglicher Form der verbalen und physischen Gewalt. Also keine Hooligans in den USA? Cameron zögert kurz mit der Antwort, um dann auf ein Gerücht zu verweisen, das besagt, dass es eine geheime ECS-Hooligangruppierung geben soll. Ansonsten basierten die Rivalitäten, auch die besonders intensiv gepflegte mit den Timbers aus Portland, prinzipiell auf „großen Tönen“ und weniger „auf Taten“. Letzten Endes müsse man auch mit den sportlichen Rivalen aus den kleineren, weniger kommerzialisiert auftretenden Städten vereint gegen die „media big shots“ aus Los Angeles (Galaxy) und New York (Red Bulls) bestehen. Was also die verschiedenen Fanszenen aus Vancouver, Seattle, Portland, San Jose, oder auch Colorado und Kansas City eine, sei der Kampf gegen die Kommerzialisierung des nordamerikanischen Profifußballs. So richtig befreundet sei der GFC jedoch nur mit einer Gruppierung aus Kansas City und, zunächst zu meiner starken Verwunderung, mit einzelnen kleineren Gruppen aus Vancouver. Dass man dicke sein könne mit Anhängern der eigentlich abzulehnenden Whitecaps aus Kanadas Metropole auf der anderen Seite der US-Kanada-Grenze, sei nun einmal der Vorteil einer kleinen unabhängigen Fangruppierung.

4_AuswahlCameron selbst trat dem GFC 2010 bei. Der in Seattle geborene Anwalt passte hervorragend in das stetig wachsende und mittlerweile gut 300 MitgliederInnen (Stand: April 2013) umfassende Kollektiv. Nach dem Geschichts- und Politikstudium in Kalifornien Anfang der 2000er Jahre, kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er 2006 seinen Juraabschluss machte und anschließend für zwei Jahre in einer Kanzlei arbeitete. Seinen Arbeitsschwerpunkt legte er dabei darauf, sozialen Bewegungen, Protestierern und Opfern von Polizeiwillkür eine Stimme vor dem Gesetz zu geben. Politisiert durch die Ausschreitungen anlässlich des Gipfeltreffens der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle 1999, so Cameron, und durch die auf den 11. September 2001 folgenden Innere-Sicherheit-Maßnahmen der Bush-Administration, die die individuellen Freiheiten des Einzelnen immer stärker einengten und staatlicher Willkür Tür und Tor öffneten, verschrieb sich der Fußballfan voll und ganz Belangen sozialer Gerechtigkeit. Nebenher arbeitete er stets für eine lokale Radiostation und ist auch heute noch jeden Montag Abend Radio-DJ eines Radioprogramms, das dem Punkrock und der dazugehörigen Szene, insbesondere in Seattle, gewidmet ist. Hauptberuflich arbeitet er nun wieder in einer Anwaltskanzlei. Seiner eigenen, die er gemeinsam mit einem befreundeten Kollegen betreibt. Auch der Rapper Macklemore gehört zu seinen Klienten.

Ich frage Cameron, ob er jemals damit Probleme gehabt hätte, sein Dasein als engagierter Fußballfan mit Privatem in Einklang zu bringen, was er lachend verneint: „Ich musste nie irgendwelche Kompromisse eingehen und lade sogar Frauen zu Dates ins Stadion ein“. Auch dass er aus einer sportbegeisterten Familie stamme, die für seine Leidenschaft immer Verständnis hatte, hätte es ihm einfach gemacht. Somit sind auch Auswärtsfahrten kein Problem für ihn und gehören zum Standardprogramm des GFC im Besonderen und der Fanszene in Seattle im Allgemeinen. Während „Ground Hopping“ außerhalb der USA und Kanadas eher nicht stattfinde, organisiert der GFC durchaus Busfahrten zu Spielen in Vancouver, Portland und San Jose. 2012 reiste man zu zehnt sogar in das fast 4000km entfernte Montreal, um die Sounders gegen die Impact anfeuern zu können. Auch die ECS organisieren für ihre Mitglieder Fahrten bzw. Flüge zu Spielen, selbst wenn das Ziel an der tausende von Kilometern entfernten Ostküste liegt. Spiele an der Westküste sind sehr beliebt bei Sounders-Anhängern, sodass man ohne Probleme das von der Liga festgesetzte Gästefans-Limit von 750 Personen in Portland erreichte. Nach San Jose in Kalifornien begleiteten die Mannschaft immerhin 200 Schlachtenbummler, so Cameron.

Ich spreche den Stellenwert der Sounders in Seattle an und ob es nicht schwierig sei, in einer solch sportbegeisterten US-Stadt Fußballfan zu sein? Cameron schüttelt den Kopf. Natürlich seien in den USA Football, Baseball und Basketball beliebtere Sportarten – in manchen Regionen auch Eishockey. Aber in Seattle habe der Fußball einfach seine Nische gefunden, da es keine wirklichen Überschneidungen zwischen den verschiedenen Fanvölkern gäbe und somit keine Konkurrenz von Seiten der Seahawks (Football) oder der Mariners (Baseball) drohe. Er selbst sei glühender Seahawks-Fan. Es wäre jedoch schon einmal vorgekommen, dass er im Stadion bei einem Footballspiel von den, selbst in Seattle eher politisch rechts gesinnten, Footballfans dafür angebrüllt worden sei, dass er ein Obama-T-Shirt getragen hätte.

Wir verabreden uns für den anstehenden Spieltag, das Heimspiel der Sounders gegen Houston, und bevor ich mich vorerst von Cameron verabschiede, frage ich ihn noch nach Christian Tiffert, den ehemaligen FCK-Kapitän, der von 2012 bis 2013 eine Saison bei den Sounders spielte, bevor sein Vertrag wieder aufgelöst wurde und es ihn in die zweite Bundesliga zum VfL Bochum zurückzog. Cameron zögert nicht lange: „Er wurde einfach nicht auf der richtigen Position eingesetzt. Ich war nicht gerade begeistert davon, dass uns solch ein veranlagter Spieler schon so bald wieder verlassen musste. Man sah gleich von Anfang an, dass er allen anderen Spielern im Team einen Schritt voraus war“. Ach, Tiffy.

Seattle Sounders – New England Revolution 0:0
Samstag, 13.04.2013, 13h
38323 Zuschauer (??? Gästefans), CenturyLink Field
Seattle, WA, USA

3_AuswahlAm Samstag, ein paar Tage später, holt mich Cameron um 10 Uhr morgens mit seinem Auto ab. Auf Seattles Straßen ist noch nicht viel los, sodass wir schnell in einem der Parkhäuser am CenturyLink Field (davor Qwest Field, 2004-2011; davor Seahawks Stadium, 2002-2004) zum Stehen kommen. Die Parkhausangestellten kennen Cameron schon, grüßen und lassen uns ohne Zahlung durch. Ich helfe ihm dabei, einen Sack mit Fahnenstangen zum Haupthintereingang des Stadions zu schleppen. Dort wartet schon ein weibliches GFC-Mitglied. Sie und Cameron sind heute allein dafür verantwortlich, dass zu Spielbeginn das Gruppenbanner hängt und die Fahnen im Block einsatzbereit sind. Zunächst heißt es jedoch einmal warten. Wir werden nicht durchgelassen. Da mal wieder eine neue Sicherheitsfirma von den Stadionbetreibern angeheuert worden ist, wirken dieses Mal keine persönlichen Bekanntschaften als Türöffner und wir werden, zwar höflich aber dennoch bestimmt, zum Warten aufgefordert. Gut 20 Minuten passiert gar nichts. Immerhin entschuldigt sich der Koordinator der Sicherheitsleute für die Verzögerung. Noch zwei Stunden bis Anpfiff.

8_AuswahlIrgendwann taucht dann doch jemand auf, um uns durch die Katakomben zur Supporters-Kurve hinter einem der beiden Tore zu geleiten. Scheinbar hat man uns das nicht alleine zugetraut. In ihren Blöcken sind schon drei VertreterInnen der ECS damit beschäftigt, ihre Banner aufzuhängen und die Kurve spielfertig zu machen. Es gibt keine Begrüßung, kein Händeschütteln. Jede Gruppe bleibt auch schon vor dem Spiel für sich. Nachdem alles vorbereitet und ein paar Bilder gemacht sind, verlassen wir das Stadion wieder, um an einem von der ECS organisierten Marsch vom historischen Ursprung Seattles zum Stadion teilzunehmen. Dieser findet vor jedem Heimspiel statt. Vorher geht es jedoch auf ein paar Biere in einen stadionnahen Pub. Der Marsch ist dann beeindruckender als ich dachte. An die 1000 Soundersanhänger ziehen laut singend, fahnenschwenkend, doppelhalterhaltend und schaldrehend zum CenturyLink Field. Auf dem Weg gesellen sich immer mehr Fans hinzu. Im Stadion bin ich dann zunächst etwas überrascht, denn Cameron steht nicht mit den anderen GFC-Mitgliedern im vorher noch vorbereiteten Block rechts hinter dem Tor, sondern hat eine Dauerkarte für die Haupttribüne, wo er die Spiele mit seinem Vater verfolgt. Nun gut. Ich habe mir eine Karte ca. 10 Reihen hinter dem GFC besorgt, mit einen sehr feinen Blick auf die gesamte Fanszene. Noch bevor die Spieler den Platz betreten, machen die ECS, angepeitscht durch einen mit Mikrofon ausgestatteten Vorsänger, direkt hinter dem Tor ordentlich Dampf. Kurz vor Anpfiff gibt es eine saubere Schalparade und dann mit dem Spielbeginn das auch vom Betzenberg bekannte, langsam schneller werdende Einklatschen („Bumm-Bumm-Klatsch“). Bei Spielbeginn sehe ich ein paar Reihen vor mir noch einige GFC-Fahnen, die geschwenkt werden. Allerdings nur für kurze Zeit. Dann, zu meinem Unverständnis, passiert in diesem Block bis zum Abpfiff gar nichts mehr. Links daneben geht die gut 1500 bis 2000 Personen starke ECS ordentlich ab. Trotz eines grottenschlechten, torlosen Kicks wird zwei Halbzeiten hindurch abgegangen. 10-15 große Schwenkfahnen in den Soundersfarben Grün und Blau kommen permanent zum Einsatz. Doppelhalter und Schals vollenden ein wirklich ansehnliches Bild. Es gibt zwei Hüpfeinlagen, an denen sich fast die ganze Kurve beteiligt. Zur zweiten Halbzeit übernimmt eine junge Frau das Capo-Mikrofon und steht ihrem Vorgänger in nichts nach. Vom Spiel enttäuscht, von der Leistung auf den Rängen jedoch beeindruckt, treffe ich Cameron nach den 90 Minuten wieder im GFC-Block zum Aufräumen. Auf meine Frage nach den Gründen für die Inaktivität seiner Gruppe während des Spiels, antwortet er: „Wir schwenken nicht gerne auf Kommando der ECS. Wir machen unser eigenes Ding. Vielleicht hatten sie heute deshalb keinen Bock“?

Wir lassen den Tag in einer weiteren Bar bei Pizza und Bier ausklingen. Ein weiteres GFC-Mitglied, das sich nach dem Spiel zu uns gesellte, steht irgendwann, ohne sich zu verabschieden auf und verlässt die Bar. Als er nach einer Weile zurückkommt, trägt er ein altes Kaiserslautern-Trikot. „Ist das einzige Trikot, das ich neben meinen Sounders-Trikots habe“. Ein Zufall. Er hat es vor Jahren in einem Second-Hand-Shop am Stadion erstanden. Wir machen ein Bild zusammen und ich gebe ihm ein Bier aus. Die Fankultur in den Vereinigten Staaten mag noch in den Kinderschuhen stecken. In Seattle kommt sie mir dann doch schon sehr vertraut vor.

Ulle, B.B. 97/06

Vielen Dank an Ulle für die Bereitstellung dieses Beitrags! Auf dem Blog unserer Freunde von der Berliner Bagaasch findet ihr viele weitere lesenwerte Artikel: http://berlinerbagaasch.de/!

Überall ist Taksim

„Überall ist Taksim – überall ist Widerstand“ hallt es durch die Istiklal-Straße in Istanbul. Die Shopping Meile Richtung Taksim Platz ist voll von Demonstranten. Auch die Polizei ist vor Ort. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Böller fliegen, Pyro wird gezündet. Die Staatsmacht antwortet mit Wasserwerfern. Nach einer Weile wird die Demonstration aufgelöst. Mehrere Menschen werden festgenommen. Der Rest der Demonstranten verläuft sich in den Straßen Istanbuls.
Eine typische Szene, wie sie auch bei den Protesten gegen die Räumung des Gezi Parks im vergangenen Jahr stattfand – an denen Ultras maßgeblich beteiligt waren. Doch diesmal ist der Auslöser ein anderer. Auch die Demonstration wirkt homogener. Denn es sind fast ausschließlich Ultras an diesem Tag in Istanbul zusammengekommen. Die großen Istanbuler Gruppen, wie Carsi, Ultraslan und Genç FB sind zum ersten Mal seit den Gezi-Protesten wieder gemeinsam auf der Straße. Damals hatten sich die drei verfeindeten Gruppen gemeinsam an den Demonstrationen auf dem Taksim Platz beteiligt.

fbklein2In Kreisen der deutschen Ultraszene wurde das Ganze damals aufmerksam verfolgt. Es wurde diskutiert und man stellte sich Fragen wie: Kann das gut gehen – verfeindete Gruppen zusammen gegen die Staatsmacht? Sollten sich die Ultras nicht aus den politischen Angelegenheiten raushalten? Diese, damals schnell widerlegten, Fragen scheinen im Zuge der aktuellen Proteste gar nicht erst aufkommen zu können.

Denn der Anlass könnte – auf den ersten Blick – kaum fußballbezogener sein. Es geht um ein im April vom türkischen Fußballverband eingeführtes Ticketsystem, das aus einer Bankkarte, der Passolig besteht. Nur Inhaber dieser Karte können Spiele der 1. und 2. türkischen Liga im Stadion sehen und auch nur die Spiele, an denen der eigene Verein beteiligt ist. Denn neben der Angabe des Lieblingsvereins, werden auch allerhand anderer Daten auf der Karte gespeichert. Von nationaler Identifikationsnummer (Ausweisnummer) bis hin zu Kontodaten ist alles drauf, was der absoluten Personalisierung dient. Ein Foto darf natürlich auch nicht fehlen. Denn das ist der kleine Unterscheid zur italienischen Tessera: In den türkischen Stadien werden Gesichtsscanner (bzw. Kameras) installiert, die überwachen sollen, ob auch wirklich der Eigentümer der Karte auf dem georderten Platz sitzt. Ein Instrument, das die Gewalt in den Stadien eindämmen soll. Im Moment führt es aber vor allem dazu, dass die Stadien leer bleiben. Beim Derby zwischen Fenerbahce und Besiktas wurden nur rund 8000 Karten verkauft. Carsi hatte zum Boykott des Spiels und der Passolig aufgerufen.

Der Konflikt zwischen Fußballverband und Fankultur scheint damit auch in der Türkei angekommen zu sein. Auch hier laufen, wie in Italien, Repressionsmaßnahmen vor allem über Überwachungs- und Ausschließungsmechanismen. Durch die Passolig wird es um ein Vielfaches einfacher unliebsame Stadiongänger fernzuhalten. Was noch erschwerend hinzukommen dürfte ist, dass die türkische Polizei Zugriff auf die Daten der Passolig hat. Und das auch aus gutem Grund. Die Einführung der Passolig scheint nämlich eben nicht nur ein Repressionsinstrument gegen die Fankultur alleine zu sein.

Im Zuge der Proteste auf dem Taksim-Platz haben sich viele türkische Ultras politisiert. Für sie sind nicht allein Fußballfunktionäre und Politiker diejenigen, die den Fußball zerstören. Vielmehr haben sie eine neoliberale Logik dahinter erkannt, nach der auch der letzte öffentliche Raum ökonomisch verwertbar gemacht werden soll. Die Privatwirtschaft ist einer der größten Profiteure der Privatisierung öffentlichen Raums – also auch des Fußballs. Die Politisierung der türkischen Ultras scheint Ministerpräsident Erdogan seit den Gezi-Protesten ein Dorn im Auge sein. Die Macht, die die Ultras nicht nur im Stadion haben, könnte für Erdogan nochmal zum Problem werden. Sicherlich erinnert er sich auch noch an den Beginn des „Arabischen Frühlings“ in Ägypten. Damals waren Ultras von Al Ahly Kairo federführend an den Protesten gegen die Regierung beteiligt. Aber nicht nur aus diesen Gründen kommt ihm die Passolig gerade recht.

0Hinter der Passolig steht die Investmentbank „Atif“. Mit bisher nur acht Filialen in der ganzen Türkei gehört sie zu den eher kleinen Banken. Doch der Zuschlag für die Passolig sichert der Bank auf einmal ca. 8 Millionen Neukunden bzw. Fußballfans- und damit auch mehrere Millionen Kapital. Man wundert sich, wie ausgerechnet eine Investment Bank, die nicht auf ein Kundengeschäft wie dieses ausgelegt ist (8 Filialen!), den Zuschlag für das Millionengeschäft „Passolig“ bekommen konnte. Ein zweiter Blick offenbart dann, dass hinter der Atif Bank die Calik Holding steht. Geschäftsführer (CEO) ist kein anderer als der Schwiegersohn des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan.

Die Verstrickungen zwischen Privatwirtschaft und Politik sind kein neues Phänomen – auch nicht in der Türkei. Doch dieser Pakt wird von vielen Teilen der türkischen Gesellschaft nicht mehr ohne weiteres hingenommen. Auch die Ultras haben es geschafft sich ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewusst zu werden. Denn die Probleme der türkischen Gesellschaft sind auch die Probleme der Ultras. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht gleich, dass die Probleme der Ultras auch die Probleme der Gesellschaft sind. Es ist fraglich ob die türkische Gesellschaft, die Probleme der Ultras auch als die eigenen Probleme wahrnimmt. Daher kann man nur hoffen, dass die Ultras in der Türkei sich ihrer eigenen Möglichkeiten bewusst werden und sich weiter untereinander vernetzen. Nur ein gemeinsamer, aktiver Protest kann zum Erfolg führen. Der Boykott allein wird nicht ausreichen.
Immerhin entschied kürzlich ein Gericht in Ankara, dass die Passolig gegen Datenschutzbestimmungen verstoße und daher abgeändert werden muss. Das wird jedoch nicht viel ändern. Das System, das dahinter steckt, wird dadurch nicht angetastet.